26.8.05

Sources (2): «3rd Coast Music»

Meine Lieblingsinformationsquelle für Musik ist ein bescheidenes, schwarz-weisses Blättchen auf billigem Zeitungspapier, 8 bis 16 grosse (35 x 29 cm) Seiten pro Monat, ausnahmsweise können es auch mal bis 24 oder 28 sein: «3rd Coast Music». Ich bin seit über 15 Jahren Abonnent. Gemacht wird dieses Blatt bereits seit 16 Jahren von John Conquest, einem Briten, der heute in San Antonio, Texas, lebt.
Als ich Ende 1989 zum ersten Mal nach Austin, Texas, kam, lag dieses Heftchen, damals noch geheftet und nicht als Zeitung, unter dem Namen «Music City» gratis in Clubs und Plattenläden auf. Conquest, davor in England unter anderem als Musikjournalist für «Time-Out» tätig, war der Musik wegen nach Austin gezogen. Und da er sich darüber ärgerte, wie die Lokalpresse mit der lokalen Musikszene umging, gründete er sein eigenes Blatt.
Den Namen «Music City» musste er bald ändern, weil das den Typen in Nashville, die zum Gallonenhut einen Business-Anzug tragen, gar nicht gefiel: «Music City» ist eine geschützte Marke der Stadt Nashville. Conquest behalf sich damit, «Texas» anzufügen: «Music City Texas» hiess das Blatt die nächsten Jahre. Doch die Beschränkung auf die Szene Austins wurde John Conquest mit der Zeit zu eng, der Fokus seines Blattes öffnete sich auf den weiteren Süden, vor allem auch auf Louisiana. Im neuen Titel «3rd Coast Music» drückt sich das aus. (Die 3rd Coast ist quasi die Südküste der USA zum Golf von Mexico, die oft fast ein wenig vergessen geht; meist hort man von der sonnigen Westcoast und der intellektuellen Eastcoast.) Conquest war mit den Jahren auch enttäuscht darüber, wie sich die Musikszene in Austin entwickelte, wie sich die einst so gute und freundschaftliche Stimmung in der Szene mehr und mehr verschlechterte, und zog nach San Antonio,
Ab und zu hatte der eigenwillige Schreiber Mitredakteure, aber das dauerte nie lange. Das Blatt blieb die One-Man-Show von John Conquest. Seit einiger Zeit hat der Musikschreiber Charles Earle aus Nashville eine ganzseitige Kolumne («Charles Earle’s B-Sides»).
Den Hauptteil des Heftes, das ursprünglich vor allem ein Veranstaltungskalender für die Clubs in Austin war, sind kurze Platten-Reviews. Da stösst man immer wieder – und darum mag ich das Blatt so – auf neue Namen in Reviews, welche die Neugier wecken. Und daraus wird schon mal der eine oder andere Liebling – zuletzt zum Beispiel Amber Digby.
John Conquest ist ziemlich rigoros in seinen Urteilen. Er putzt auch Szenelieblinge grob runter, wenn ihm etwas nicht passt. Anderseits pusht er auch hemmungslos, was er gut findet. Zum Beispiel Amber Digby. Und die ist ja wirklich gut. Er hat auch die eine oder andere Marotte, die ein bisschen nerven mag. Zum Beispiel geht seine Aversion gegen das Business so weit, dass er Musiker in der Regel nur gut findet, so lange sie nicht kommerziell erfolgreich sind.
Gewiss, ich bin nicht immer einig mit Conquests Urteilen. Aber oft. Und was ich an seiner Arbeit schätze: Er ist kein Schleimer, er foutiert sich darum, was oder wer gerade angesagt ist, er schreibt keine Gefälligkeits-Reviews. Er engagiert sich mit Leib und Seele für die Musik, die er mag. Zum Beispiel auch mit den «Freeform American Roots»-Charts. Darüber ein andermal mehr.
«3rd Coast Music» liegt immer noch gratis in Clubs und Läden auf. Ausserhalb dieses Verbreitungsgebietes kann man das Blatt für wenig Geld abonnieren, sowohl in der gedruckten Version (kommt in einem altmodischen, gelben Umschlag) wie auch als PDF per E-Mail. Die paar Dollar lohnen sich.

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