Meine ganz persönlichen Lieblingsalben 2017 (aus über 150
Neuerscheinungen des Jahrgangs 2017):
1.
Matt Patershuk: Same As I Ever Have Been
Den kanadischen Singer/Songwriter Matt Patershuk hörte ich im letzten
Jahr zum ersten Mal. Mit seinem Album „I Was So Fond of You” (Rang 3 meiner Topliste
2016) beschäftigte er sich mit dem Tod seiner Schwester – ein besoffener
Autofahrer hatte die junge Künstlerin totgefahren: ein bitterzartes Werk,
berührende Songs, wunderschön arrangiert. Auch wenn das neue Werk – wiederum
produziert und begleitet vom Multiinstrumentalisten Steve Dawson (dessen Wirken
für andere Künstler mir besser gefällt, als seine eigenen Alben) – nicht mehr
so traurig klingt, ist es doch eher auf der melancholischen Seite angesiedelt.
Gute Songs, ein Sound zwischen Country, Folk und Rock, und ich mag Patershuks
Stimme und seine Art zu singen – mein Album of the Year.
2.
Emily Duff: Maybe in the Morning
Die New Yorker Singer/Songwriterin Emily Duff ist zwar schon etliche
Jahre im Geschäft, doch für mich gehört sie zu den Entdeckungen des Jahres. Ihr
neues Album hat sie in den FAME Studios in Muscle Shoals, Alabama, aufgenommen,
der Wiege des „Muscle Shoals Sounds“. Hier entstanden in den 1960er-Jahren
legendäre Soul-Aufnahme etwa von Wilson Pickett, Etta James und Aretha
Franklin. Die Aufnahmen von Emily Duff haben etwas von diesem Soul-Groove. Und
das Gemälde auf dem Album-Cover würde ich gerne bei mir an die Wand hängen.
3.
Mein neuester Lieblings-Countrysänger ist ein Frisör aus New York City:
Zephaniah OHora schreibt und singt wunderschöne Songs auf erfrischend
altmodische Art. Definitiv „too country for country radio“ …
4.
Jeremy Pinnell: Ties of Blood and Affection
Der Sound von Jeremy Pinnell klingt auf Anhieb nach gekonntem, aber eher
harmlosem Honkytonk. Aber der Gesang belehrt einen sofort eines Besseren,
sowohl von der Stimme her wie von den Worten, die diese singt. Es geht um
Drogen, Alkohol, Knast, um ein Leben ganz unten, und der Mann weiss, wovon er
singt. I got tired of going to jail every time
I’d drink a beer / When you wake up in the morning and you knew your time was
near. Schon sein erstes
Album „OH/KY“ hatte mich umgehauen (Rang 3 auf meiner Liste 2015). Nebenbei –
neben Americana gehört Kriminalliteratur zu meinen Passionen: Jeremy Pinnell
stammt aus dem Grenzgebiet von Ohio und Kentucky, in dem das Noir-Debüt „Pike“ von Benjamin Whitmer, einer
der starken neuen Stimmen in der amerikanischen Kriminalliteratur, spielte
(deutsch: „Im
Westen nichts“, 2017, Polar).
5.
Dori Freeman: Letters Never Read
Dori Freeman aus der Kleinstadt Galax in den Appalachians in Virginia,
die für ein traditionsreiches Bluegrass-Festival bekannt ist, hat mich schon
2016 mit ihrem Debütalbum betört (Rang 5 auf meiner Liste 2016). Eine
phantastische Sängerin, was auf dem ersten wie auf dem zweiten Album je ein
A-capella-Song schön beweisen. Teddy Thompson produzierte beide Alben und
begleitet Dori als Gitarrist; er ist der Sohn der britischen Folk-Legenden Richard
& Linda Thompson („I Want to See the Bright Lights Tonight“). Folk/Country
der eher melancholischen Art; in einem Interview sagte Dori Freeman neulich,
sie habe erste einen einzigen „happy Song“ geschrieben.
6.
Jim Keaveny: Put It Together
Der Singer/Songwriter Jim Keaveny ist ein verrückter Hund. Er ist aus
dem Norden nach Terlingua, Texas, gezogen, ein abgelegenes Kaff am Rio Grande,
in Sichtweite zu Mexiko. Dort hat er zusammen mit seiner Freundin zunächst im
Wohnmobil gehaust und sich selbst ein kleines Haus aus Holz gebaut; die Dusche
wird durch die Regentonne gespeist. Um Geld für sein neues Album zu sammeln,
ist er mit dem Fahrrad von der Westküste an die Ostküste gefahren und hat bei
lokalen Medien Halt gemacht und unterwegs seine Songs vorgetragen. Seinen
näselnden Gesang begleiteten im Studio Musikerfreunde virtuos, unter anderem
mit Mariachi-Trompete und Akkordeon.
7.
Lee Ann Womack: The Lonely, the Lonesome & the Gone
Eine der Überraschungen des Jahres. Die 51-jährige Lee Ann Womack war
seit den 1990ern als Country-Sängerin zwischen Neotraditionalismus und
Countrypop bekannt; sie hatte eine Reihe von Hits im Country-Radio. Sie war
immer eine sehr gute Sängerin, aber sehr kommerziell orientiert. 2008 brach
ihre Karriere ab; erst 2014 veröffentlichte sie auf einem kleinen Label wieder
ein Album. Und jetzt dieses starke Stück mit eher düsteren Songs. Womack hat
immer schon eigene Songs geschrieben, aber dies ist das erste Album mit
vorwiegend eigenen Songs, dazu kommen ein paar für sie geschriebene Lieder sowie
einzelne Klassiker, darunter eine unter die Haut gehende Version der dunklen
Ballade „Long Black Veil“. Und dass Lee Ann Womack auf dem Album-Cover mit
Zigarette posiert, gilt in den heutigen USA schon als rebellisch.
8.
JD McPherson: Undivided Heart & Soul
Sein drittes Album nach „Signs & Signifiers“ (2012) und „Let the
Good Times Roll“ (Rang 7 auf meiner Liste 2015) hat der begnadete
Neo-Rockabilly-Musiker JD McPherson im legendären RCA Studio B aufgenommen, wo
Grössen wie die Everly Brothers, Roy Orbison und Elvis Presley gearbeitet
haben. Rock ’n’ Roll mit einer souligen Note.
9.
Tom Russell: Folk Hotel
Tom Russell ist ein Veteran, dessen Arbeit ich seit den 1980ern
verfolge, ein weltläufiger Intellektueller und ein toller Sänger. Der studierte
Kriminologe aus Kalifornien arbeitete in Nigeria, lebte unter anderem in
Kanada, Norwegen und Spanien. Er interessierte sich für die Beat-Literaten und
führte während 20 Jahren einen Briefwechsel mit Charles Bukowski. Musikalisch
begann er in der Folkszene, wandte sich dann der Countrymusik zu. Inzwischen
hat er rund drei Dutzend Alben veröffentlicht. Sein neues Studioalbum „Folk
Hotel“ ist eine Hommage an den Folkszene im Greenwich Village im New York der
1960er-Jahre mit 13 eigenen Songs und einem Bob-Dylan-Cover („Just Like Tom
Thumb’s Blues“ im Duett mit Joe Ely). Zum Album gibt es auch ein Buch mit den
Geschichten hinter den Songs und je einem Gemälde von Tom Russell zu jedem
Song. Auch das Albumcover hat er selbst
gemalt.
10.
Eilen Jewell: Down Hearted Blues
Eigentlich singt Eilen Jewell völlig unspektakulär. Trotzdem bin ich
immer wieder hin und weg, wenn sich sie höre. Ob sie einen ihrer starken Songs,
wie zum Beispiel „Rich Man’s World“ vom Album „Letters From Sinners &
Strangers“ (2007 auf Rang 4 meiner Liste), singt oder was auch immer. Auf ihrem
aktuellen Album singt und spielt sie mir ihrer Band Blues. Covers von Willie
Dixon, Betty James, Frankie Sims, Memphis Minnie, Big Maybelle und anderen.
11.
Brigitte DeMeyer
& Will Kimbrough: Mockingbird Soul
(BDM Music/Will Kimbrough Music,
Nashville, TN)
Brigitte DeMeyer und Will Kimbrough, zwei begnadete Singer/Songwriter
und Musiker, arbeiten seit Jahren immer wieder zusammen. Das neue gemeinsame
Album mit seiner bluesigen Note ist besonders stark.
12.
The Whiskey Gentry: Dead Ringer
(Pitch-A-Tent
Records, Athens, GA)
Das dritte Album der erfrischenden Countryrockband um Sängerin (und
Songschreiberin) Lauren Staley Morrow aus Atlanta, Georgia.
13.
Son Volt: Notes of Blue
(Transmit
Sound, Jersey City, NJ)
Uncle Tupelo war Ende der 1980er/Anfang der 1990er eine der führenden
Alternative-Country-Bands. Bis die beiden Köpfe Jay Farrar und Jeff Tweedy
nicht mehr miteinander konnten und sich trennten. Tweedy gründete Wilco, Farrar
Son Volt. Wilco ist zwar bekannter, aber für mich ist Son Volt schon seit der
Trennung 1994 die weit bessere Band. Farrar beweist das mit dem neuen, stark
von Blues inspirierten Album einmal mehr.
14.
Jason Eady (self-titled)
(Old
Guitar Records / Thirty Tigers, Nashville, TN)
Der aus Mississippi stammende, in Texas lebende Singer/Songwriter Jeason
Eady präsentiert starke neue Songs, sehr schön arrangiert in stimmigem,
akustischem Americana-Country-Sound. Produziert von Singer/Songwriter Kevin
Welch.
15.
Pieta Brown: Postcards
(Lustre
Records, Iowa City, IA)
Pieta Brown aus Iowa, die Tochter der Singer/Songwriter-Legende Greg
Brown, gehört seit ihrem Debüt 2002 zu meinen Favoriten. Jede der zehn
«Postkarten» des neuen Albums ist eine Kollaboration mit einem anderen Musiker
oder einer anderen Band, darunter etwa Mark Knopfler, David Lindley, Dave
Mansfield, Carrie Rodriguez, Calexico sowie The Pines, die Band der Söhne ihres
Gatten Bo Ramsey.
16.
Robyn Ludwick: This Tall to Ride
(Late Show Records,
Wimberley, TX)
Die Schwester der texanischen Singer/Songwriter Bruce und Charlie
Robison ist selbst eine grossartige Songschreiberin und eine tolle Sängerin.
17.
Daddy (Tommy Womack
& Will Kimbrough): Let’s Do This
(Daphne Records/Will
Kimbrough Music, Nashville, TN)
Daddy ist sozusagen das Rockband-Projekt der beiden grossen
Singer/Songwriter Tommy Womack und Will Kimbrough (siehe auch Rang 11) aus Nashville. Dies
ist ihr drittes Album, dass runtergeht wie feinster Tennessee Whiskey.
18.
Rachel Baiman: Shame
(Free Dirt Records,
Takoma Park, MD)
Sozial und auch feministisch engagiert sind die Songs von Rachel Baiman,
die von einem „bluegrassigen“ Sound begleitet werden.
19.
Monica Passin: Monette
(Passin Fancy Records, New
York City, NY)
Frühere Werke der New Yorkerin waren noch stark im Rockabilly verankert.
Das neue Album nimmt Einflüsse von Swing, Jazz, klassischem Rhythm & Blues
und anderen Stilen vor allem der 1950er und 1960er auf. Sehr schön gemacht.
20.
Sad Daddy: Fresh Catch
(Sad Daddy,
Eureka Springs, AR)
Schräges Quartett aus Arkansas mit Bassistin Melissa «Daddy» Carper, die eine
Zeitlang in Texas mit dem Frauentrio Carper Family Furore machte («Old-Fashioned
Gal»: Rang 6 auf meiner Liste 2013) und auch unter ihrem Namen aufnimmt
(«Arkansas Bound»: Rang 15 2016), Gitarrist Brian Martin, Joe Sundell am Banjo und Fiddlerin Rebecca Patek. Bluegrassig, folkig – und ziemlich witzig.
Ausserdem empfehle
ich vom Jahrgang 2017:
Moot Davis: Hierarchy of Crows
Joseph Huber: The Suffering Stage
Lilly Hiatt: Trinity Lane
Hiss Golden Messenger: Hallelujah Anything
John Moreland: Big Bad Luv
Lindi Ortega: Til the Goin’ Gets Gone (EP)
Margo Price: All American Made
D. B. Rielly: Live from Long Island City
D. B. Rielly: Live from Long Island City
Whitney Rose: Rule 62
The Secret Sisters: You Don’t Own Me
Anymore
Darden Smith: Everything
Billy Strings: Turmoil & Tinfoil
Sunny Sweeney: Trophy
Jaime Wyatt: Felony Blues