6.8.05

Im CD-Wechsler (Woche 30/31 / 2005)

• John Hiatt, «Master of Disaster» (New West)
Wow, was für ein Album! Für mich das drittbeste von John Hiatt. Er war ja schon seit den Siebzigerjahren ein begnadeter Songwriter, und er wurde ein immer besserer Sänger. Nur musikalisch griff er immer mal wieder etwas daneben. 1987 dann das Meisterwerk: «Bring the Family» – mit der Traumbesetzung Ry Cooder (git), Nick Lowe (b), Jim Keltner (dr). Im Jahr darauf doppelte John Hiatt gleich nach: Auf «Slow Turning» liess er sich von The Goners begleiten, die aus Louisiana’s Gitarren-As Sonny Landreth und dessen Band bestanden. Den Auftritt von John Hiatt & The Goners auf der «Slow Turning»-Tour im Volkshaus Zürich habe ich noch heute im Ohr.
Was John Hiatt seither gemacht hat, war nie schlecht. Aber nie mehr so gut, wie sein Doppelschlag von 1987 und 1988. Bis jetzt. «Master of Disaster» wurde produziert vom legendären Jim Dickinson in Memphis, dessen Liste von Einsätzen als Keyboarder und/oder Produzent in den letzten Jahrzehnten sich liest wie ein Auszug aus dem Rocklexikon (klitzekleiner Auszug gefällg? Bitte: Ry Cooder, Willy DeVille, Bob Dylan, Aretha Franklin, Green on Red, Arlo Guthrie, Screamin’ Jay Hawkins, Jason & the Scorchers, Los Lobos, G.Love & Special Sauce, Mudhoney, The Radiators, The Replacements, The Rolling Stones, Slobberbone, Texas Tornados, Toots & the Maytals...).
Jim Dickinsons Söhne Luther und Cody, die inzwischen mit ihrer Band North Mississippi Allstars auch bestens bekannt sind, sorgen auf «Master of Disaster» an Gitarren und Schlagzeug für den erdigen Sound, auf dem John Hiatts kernige Stimme so gut gedeiht. Neben den Jungspunden spielt Muscle-Shoals-Session-Veteran David Hood den Bass.

• Son Volt, «Okemah & The Melody of Riot» (Sony BMG)
Ein willkommenes Comeback: Jay Farrar reaktiviert seine famose Band Son Volt mit neuer Besetzung: Starke Songs, markante Gitarren – erinnert an die besten Sachen von Uncle Tupelo.
Uncle Tupelo war vor 15 Jahren die Band der Kindheitsfreunde Jay Farrar und Jeff Tweedy. Mit ihrem Debüt «No Depression» lösten sie 1990 Einiges aus: Sie brachten das, was manche dann alt.country nannten, in die Kreise des Alternativrocks und lösten damit einen kleinen Americana-Boom. Sogar eine Zeitschrift benannte sich nach dem Albumtitel: Bis heute ist das zweimonatlich erscheinende Magazin «No Depression» so etwas wie die alt.country-Bibel. Nicht dass es Musik, wie Uncle Tupelo sie machten, vorher nicht gegeben hätte, aber sie gewannen ein neues, auch jüngeres Publikum dafür.
Nach dem ganz starken vierten Album «Anodyne» (mit einem meiner Lieblingssongs des legendären Doug Sahm: «Give Back the Key to My Heart») trennten sich die Wege von Tweedy und Farrar. Tweedy machte weiter mit Wilco, Farrar mit Son Volt. Wilco waren erfolgreicher, Son Volt aber waren – für meinen Geschmack – besser. Nach drei Alben mit Son Volt zwischen 1995 und 1998 machte Farrar solo weiter. Nun die erfreuliche Rückkehr von Son Volt: Das neue Album von Son Volt, «Okemah & The Melody of Riot», hat die Qualitäten des Erstlings «Trace» von 1995. Engagierte Texte, scharfe Gitarren – einfach gut.

• Terry Melcher, «Terry Melcher» (Collector’s Choice)
Grauenhaft das Cover: Ein blasser Mann mit rötlich-blonden, halblangen Haaren, ebensolchem Schnäuzchen, in einem beigen Rollkragenpullover und einem beigen Sakko. Sieht aus wie ein Pornodarsteller aus den Siebzigerjahren. Nun, mit den Siebzigerjahren liegt man richtig: Die Original-LP erschien 1974. Terry Melcher (übrigens der Sohn von Doris Day) war in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine wichtige Figur in der Musikszene von Los Angeles. Er arbeitete mit Bobby Darin und Randy Newman, wurde Produzent bei Columbia Records, wo er unter anderen eine neue Band namens The Byrds betreute. Er produzierte zudem das einzige Album der legendären Rising Sons – der gemeinsamen Band von Ry Cooder und Taj Mahal, als sie jung waren. Im November 2004 starb Melcher nach jahrelangem Kampf gegen den Krebs.
Auf seinem eigenen Album wurde er denn auch von vielen Topmusikern unterstützt, darunter etwa Ry Cooder und Chris Hillman. Das Resultat klingt nach der sehr süssen Variante des Westcoast-Sounds der Seventies – und ziemlich überproduziert. Also eher historisch als musikalisch interessant.

• Chip Taylor & Carrie Rodriguez, «Red Dog Tracks» (Back Porch)
Der alte Mann und die schöne junge Frau. Singer/Songwriter-Legende Chip Taylor (geboren übrigens als James Wesley Voight und Bruder des Schauspielers Jon Voight) spielt seit vier Jahren mit der Violinistin und Sängerin Carrie Rodriguez (deren Vater David Rodriguez in Texas als engagierter Singer/Songwriter von sich reden machte, dann aber nach Holland auswanderte und aus der Musikszene verschwand). Ihre Country-Folk-Duette sind einfach wunderschön. Begleitet werden sie auf dem neuen Album unter anderem vom Jazzgitarristen Bill Frisell.
Chip Taylor war in den Sixties als Songwriter für etliche Hits verantwortlich, «Wild Thing» (Jimi Hendrix, The Troggs) und «Angel of the Morning» (Juice Newton, Chrissie Hynde) sind seine bekanntesten Songs. Selber veröffentlichte er in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren sechs Soloalben, darunter 1973 das herausragende Countryrockalbum «Chip Taylor’s Last Chance». In den frühen Achtzigern verschwand er aus der Musikszene - und wurde Profi-Spieler. An einer Black-Jack-Weltmeisterschaft in Las Vegas wurde er dritter, in Atlantic City räumte er an den Kartentischen derart ab, dass er bald in jedem Casino Hausverbot hatte. Da sattelte er um auf Pferdewetten.
1993 tauchte er wieder in der Musikszene auf, als er zu einer Songwriter-Tour mit Midge Ure, Darden Smith, Rosie Flores und Don Henry eingeladen wurde. 1996 legte er mit «Hit Man» erstmals wieder ein eigenes Album vor: eigene Interpretationen der Hits, die er für andere geschrieben hatte. 1997 folgte mit den «Living Room Tapes» ein wunderbar intimes Album, das ihn in der neuen Country/Folk-Singer/Songwriter-Szene etablierte.

• Stacey Earle & Mark Stuart, «Communion Bread» (Funzalo)
Das neue Album des Ehepaares Stacey Earle (übrigens die Schwester von Steve Earle) und Mark Stuart bringt wie gewohnt hausgemachten, akustischen Country-Folk. Staceys etwas rauhe und dadurch interessante Stimme wird durch Marks warme Harmonien ergänzt.

• Grey DeLisle, «Iron Flowers» (Sugar Hill)
Die Alben von Grey DeLisle werden von mal zu mal düsterer. Ihr neues Werk wird als irgendwo zwischen Neko Case und Tom Waits beschrieben. Produziert wie immer von Marvin Etzioni (Lone Justice), mit von der Partie sind u.a. Greys Ehemann Murray Hammond (Old 97’s), Dave Mattacks (Fairport Convention) sowie die Americana-Allzweckwaffen Don Heffington und Greg Leisz.

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