28.10.06

Im CD-Wechsler (15/2006)

***** – J.B. Beverley & The Wayward Drifters, „Dark Bar and a Jukebox“ (Helltrain)
Was für eine Honkytonk-Combo! Da perlen die Klänge von Mandoline und Banjo, federnd wird der Bass gezupft, Steel Guitar und Fiddle sind in Hochform, die Akustikgitarre sowieso, und zwischendurch wird auch noch gejodelt. Und dann der Gesang: die dreckige Stimme von J.B. Beverley kontrastiert die teils lieblichen Klänge wunderbar. Und was für Songs er schreibt! Eine wahre Freude. Der Titelsong „Dark Bar and a Jukebox“ ist programmatisch:

They forgot ole’ Hanks’s sorrow
They’ve lost the „Man In Black“
They won’t give George Jones the chance to get his darlin’ back
Now I don’t me no Opry
I don’t need Music Row
Just six strings and some heartache and I’ll be good to go

Give me a dark bar and a jukebox over that radio
Toby just don’t cut it
Give me Haggard, give me Coe
I’m tired of watching Nashville and it’s washed up fashion show
Because you won’t find no „country“ on „country radio“

They won’t play no Dale Watson
They won’t play Wayne „The Train“
They’ll never play ole’ Hank III
And they don’t know my name
But I’m tired of „Runaway Cowboys“ and polished pop songs
What happened to our roots, man?
Where did we go wrong?

Polierte Popsongs riskiert man bei J.B. Beverley nicht; da ist man auf dem Highway unterwegs, man trinkt Bourbon, man versucht seinen Blues zu vertreiben, und man ist einsam und muss viel Wein trinken.
Und wenn man sich schon richtig verliebt hat in dieses Album – garantiert unter meinen Top Ten 2006! – kommt noch der Song „Raining in Philly“ um eine verlorene Liebe. Ein Ohrwurm erster Güte! Der gleichzeitig treibende wie etwas träge Rhythmus fährt einem physisch ein. Unterwegs auf den helvetischen Highways drehe ich die Lautstärke immer bis an den oberen Anschlag, wenn dieser Song kommt, damit der pulsierende Akustikbass die Bauchdecke vibrieren lässt.

**** – The Weary Boys, „Jumpin’ Jolie“ (self-released)
Noch so eine wunderbare Honkytonk-Band. Irgendwie erinnert mich dieses Album immer wieder an Canned Heat. Ja, die Boogie-Blues-Band aus den Sixties. Dabei klingt das neue Album der Weary Boys mehr nach Bluegrass denn nach Boogie. Wahrscheinlich ist es dieser unwiderstehliche Rhythmus: etwas monoton vielleicht, aber er nimmt einen einfach mit.
Es ist das fünfte Album der Weary Boys. Die meisten Songs schreibt Sänger und Gitarrist Mario Matteoli. Zusammen mit seinen Freunden Darren Hoff (Gesang, Gitarre) und Brian Salvi (Gesang, Fiddle) ist er anno 2000 von Nordkalifornien nach Austin, Texas gezogen, wo Bassist Darren Sluyter und Drummer Cary Ozanien zur Band stiessen. Ihr Country-Sound ist von Bluegrass ebenso infiziert wie von Rock ’n’ Roll.

***1/2 – The Jo’s House Band, „Sinner’s Brunch“ (self-released)
Wieso haben eigentlich Kneipen bei uns keine Hausband? Nun, ist zwar vielleicht besser – wer weiss, ob wir das, was dann da geboten würde, wirklich hören möchten.
Jo’s, ein Coffee Shop an der South Congress Avenue in Austin, Texas, hatte die letzten fünf Jahre ihre House Band. Jeweils am Sonntag Mittag spielte sie auf zum „Sinner’s Brunch“. Da Sängerin Tina Rose(nzweig) nach Nordkalifornien zieht (leider nicht für eine Gesangskarriere, sondern um im Tierschutz zu arbeiten), fand am 22. Oktober der letzte „Sinner’s Brunch“ statt. Ein Verlust für Jo’s, ein Verlust für Austin. Das zeigt dieses Album, das der Countrymusiker und Singer/Songwriter Dale Watson, ein Jo’s-Stammgast, produziert hat. Neben der umwerfenden Sängerin Tina Rose, die mit starker Stimme und leiser Melancholie die meisten Songs – Klassiker von Merle Haggard und Hank Williams wie auch eigene Lieder – singt, spielten in der Band einige versierte Musiker aus der Szene von Austin, darunter die Gitarristen Andrew Nafziger und Seth Walker, mit. Alles akustisch, Country mit Folk- und Swing-Einsprengseln, wunderbar laid-back, so richtig für einen angenehmen Sonntagnachmittag, an dem man es auch noch nicht zu laut mag. Das Album ist selbstverständlich live bei Jo’s aufgenommen, und da brummt auch mal ein schweres Motorrad im Hintergrund oder es bellt ein Hund.

27.10.06

Doug Sahm alert

****** – Doug Sahm & Band [1972] (Collectors Choice)
****** – Sir Douglas Band, „Texas Tornado“ [1973] (Collectors Choice)

Neuveröffentlichung von zwei der allerbesten Alben von Doug Sahm aka Sir Douglas (1941–1999).

Zur Band auf der 1972er LP gehören u.a. Bob Dylan, Dr. John, Flaco Jimenez, David „Fathead“ Newman. Produziert hat Jerry Wexler für das Label Atlantic. Das Album floppte. Wahrscheinlich war es seiner Zeit weit voraus, denn es bringt auf höchstem Niveau all das zusammen, was heute unter dem Begriff „Americana“ zusammengefasst wird: Roots Rock, Blues, Country, Rhythm & Blues, Soul, Folk, Rock ’n’ Roll mit umwerfendem Groove und Feeling.
Ein Album, dass für mich in die gleiche Kategorie gehört wie etwa Ry Cooders „Chicken Skin Music“ – also zum besten, was es in der sog. populären Musik überhaupt gibt.

Doug Sahms zweites Album für Atlantic, „Texas Tornado“ unter dem Namen Sir Douglas Band, enthält weitere Aufnahmen der Session für „Doug Sahm & Band“ in New York sowie weiteres Material. Fast so stark wie das Vorgängeralbum, aber damals ein noch grösserer Flop.

Wenn ich oben sagte, „zwei der allerbesten Alben von Doug Sahm“, mag man sich fragen, wie viele beste Alben von ihm es denn wohl noch gibt und welche das sind. Meine Wahl der allerbesten LPs von Doug Sahm alias Sir Douglas – neben den beiden oben erwähnten:
- Sir Douglas Quintet, „The Return of Doug Saldaña“ (1971)
- Doug Sahm and the TexMex Trip, „Groover's Paradise“ (1974)
- Sir Doug & The Texas Tornados, „Texas Rock for Country Rollers“ (1976)
- The Texas Mavericks, „Who Are These Masked Men?“ (1987)
- The Amos Garrett - Doug Sahm - Gene Taylor Band, „The Return of the Formerly Brothers“ (1988)
- Los Texas Tornados (1990; spanische Version)
- Texas Tornados, „Hangin’ on by a Thread“ (1992)

23.10.06

Im CD-Wechsler (14/2006)

**** – The Stone Coyotes, „Dreams of Glory“ (Red Cat)
Laut Miles of Music ist dies das siebte Studioalbum dieser „Familienband“ – ich habe bisher noch nie von ihr gehört. Aber was ich hier höre, macht richtig Spass: Eine scharfe Gitarre, eine starke Frauenstimme, pulsierende Rhythmen. Das klingt mal punkig, erinnert mal ein wenig an Patti Smith, mal ein bisschen an Lucinda Williams, klingt aber fast immer ziemlich rau und dreckig.
The Stone Coyotes sind die Sängerin, Songschreiberin und Gitarristin Barbara Keith, ihr Mann Doug Tibbles am Schlagzeug und Sohn John Tibbles am Bass. Barbara Keith war in den Sixties (!) in der New Yorker Folkszene im Greenwich Village und hatte 1971 ein Album auf Reprise. Die Frau müsste also gegen 60 sein. Hut ab.

**** – Will Kimbrough, „Americanitis“ (Daphne)
I lie.
Why?
Because I can.
It's the pleasure and the privilege
Of the richest people in the land.
Don't you understand?

So beginnt das aktuelle Album des sonst vor allem als Gitarristen (etwa für Todd Snider oder Rodney Crowell) bekannten Singer/Songwriters Will Kimbrough.

I don't give a damn for you
I don't give a damn for you
That's the truth
I lie because I can.

Das ist der erste Song, „I Lie“. Im zweiten, „Life“, heisst es etwa:

They all want to see who's got the biggest gun
All these cowboys want to have their fun ...
Well, we think that we're so clever
Flying without feathers
But we can't control the weather
Better send in the Marines.

17 eigene neue Songs stellt Kimbrough auf „Americanitis“ vor, starke Songs, die sich mit der Welt, wie sie ist, auseinandersetzen.
Ich bin ja wirklich keiner, der von jedem Song „gesellschaftliche Relevanz“ (die der helvetische Popstar Polo Hofer neulich in einem Interview bei den jungen Schweizer Mundartrockern vermisste – ausgerechnet Polo, der mit gesellschaftlich so relevanten Titeln wie „Du machsch mi giggerig“ Furore machte) verlangt, auch ein Song über den Pegelstand im Whiskyglas oder über die Sehnsucht nach dem schönen Mädchen aus der verruchten Bar oder über beides zusammen kann ein guter Song sein. Aber wenn schon ein „Polit-Album“, dann ein solches. Musikalisch reicht Kimbroughs vielseitiges Spektrum von Old-time-Country bis zu rauem Rock, von Reminiszenzen an den Britpop der frühen Kinks bis zu erdigem Folk.

*** – The Zozo Sisters – Linda Ronstadt & Ann Savoy, „Adieu False Heart“ (Vanguard)
Zwei tolle Stimmen, ein spannendes Akustikprojekt mit alten und neuen Songs, die näher oder ferner mit der Cajun-Kultus Louisianas zu tun haben. Ältere Songs neben solchen von Richard Thompson, Julie Miller und Kevin Welch, ein paar Lieder auch auf Französisch.
Das klingt alles wirklich sehr schön, lupenrein. Fast zu rein. Das ganze wird leider nie touching, wie man es sich von Ann Savoy mit den Magnolia Sisters gewöhnt ist, oder wie die wunderbaren (spanischen) „Canciones de mi Padre“ (1987) von Linda Ronstadt waren.